Gefühle sind doch etwas sehr persönliches. Sie sind schwer zu fassen, in dem Sinn, dass sie ein Eigenleben haben. Sie kommen und gehen, lassen sich kaum beabsichtigt reproduzieren, können uns in die höchsten Höhen heben und genauso in die tiefsten Tiefen fallen lassen. Sie gehören zu uns. Sie können uns motivieren, Unmögliches zu erreichen und sie können uns jegliche Motivation nehmen. Sie können uns den Atem rauben, was ihnen die Macht gibt, ein Stück weit über Leben und Tod zu entscheiden.
Gefühle beeinflussen unser Denken und Handeln. Ohne Gefühle ist Kunst, Musik, Film, Literatur … und auch das menschliche Miteinander kaum vorstellbar. Ein Lied ohne Gefühl wären aneinandergereihte Töne, die kaum in uns in Resonanz gehen würden. Ein Buch ohne Gefühl ist vielleicht Fachliteratur oder eine Bedienungsanleitung. Eine Beziehung ohne Gefühl kann kaum mehr als eine Zweckgemeinschaft sein.
So sind Gefühle durchaus eine Essence, eine Kraft, die mit Leben und Bedeutung erfüllt. Da ist es wirklich erstaunlich, dass wir keine Anleitung bekommen haben, mit unseren Gefühlen achtsam und sinnvoll umzugehen. Die Erwartung, dass Jungs nicht weinen, Indianer keinen Schmerz kennen, man seine Gefühle besser für sich behält und, dass man sie, weil sie oft nicht alltagstauglich sind, am Besten unterdrückt, ist wenig hilfreich. Möglicherweise ist die Ignoranz unserer Gefühle auch eine Ursache für einen Großteil unserer Probleme auf dieser Welt. Ohne Gefühle funktionieren wir nur, ohne Rücksicht und Achtsamkeit auf das, was um uns herum geschieht und wie es anderen fühlenden Wesen ergeht, die direkt oder indirekt von unserem Handeln betroffen sind. Das ist dramatisch, egal wie groß unsere vermeintlichen Fortschritte über diesen Weg werden konnten.
Sehr heikel ist auch die Vorstellung, dass Gefühle verschwinden, wenn wir sie nicht haben wollen oder sie ihre Macht verlieren, wenn wir sie unterdrücken. Genau das tun sie nämlich nicht. Wir können sie verdrängen, im ‘Keller’ verstecken und denken, wir hätten sie im Griff. Das wird für eine Weile möglich sein und deswegen wagen wir unter Umständen, noch mehr unerwünschte Gefühle einzulagern. Das geht solange gut, bis vielleicht sogar nur eine Kleinigkeit die Kellertür sprengt und alles, was wir nicht fühlen wollten, uns plötzlich überflutet. Wir werden völlig überfordert sein und unsere Reaktion wird aller Wahrscheinlichkeit nach sehr unangemessen gegenüber dem letztlichen Auslöser sein. Eine unheilsame und schwierige Situation für alle Beteiligten.
Es ist an der Zeit, dass wir anfangen, unsere Gefühle anzunehmen, selbst wenn sie wie eine Naturkatastrophe über uns hereinbrechen. Es wäre gut, uns und ihnen den Raum zu schenken, sie zu betrachten, wirklich zu fühlen, kennenzulernen und ihre Botschaft zu verstehen. Wenn uns das gelingt, dann können wir Frieden machen, mit uns und unseren Gefühlen. Wir können lernen, dass unsere Gefühle treue Helfer und Begleiter sind, die uns den Weg weisen zu unseren Wunden, zu unseren empfindlichsten und geheimsten Stellen, aber auch zu unseren grössten Potenzialen. Es braucht sicher ein bisschen Mut, seine Gefühle anzunehmen und es braucht ein Umdenken, dass sie es wert sind, ihnen Zeit und volle Aufmerksamkeit zu widmen. Sie sind Teil unseres Heilungsprozesses, unserer Entwicklung und unserer Transformation und jede Krokodilsträne, jeder Jubelschrei ist ein wertvoller Schatz.